Werde ich denn nie deine Nachrichten bekommen, meine liebste Freundin? Wenn du die Unruhe wüsstest, die dein Schweigen mir verursacht, so würdest du mir schreiben, oder du würdest es wenigstens eher getan haben. Ganze vierzehn Tage sind vergangen, ohne dass ich das Geringste von allem weiß, was ich, wenn ich es betrachte, am liebsten auf der Welt habe. In all der Langeweile, in der du bist, würdest du wenigstens einige Augenblicke für mich haben können. Aber wenn du mich als den Urheber aller deiner Ärger ansiehst – ach, was für eine finstere Ansicht! Ich rufe die Erinnerung an unsere erste Liebe an. Wenn ich nicht das Idol deines Herzens bin, der Gegenstand aller Wünsche, betrachte mich als den Vater deines Kindes, als einen Mann, der der Idee unterliegt, dich nicht vollkommen glücklich zu wissen. Mit welcher Ungeduld habe ich diesen Posttag erwartet. Nachdem ich die schlechteste Nacht auf der Welt zugebracht habe, stehe ich in aller Frühe auf, schicke zwei Mal zu Post, gehe selbst hin. Man sagt mir, dass der Kurier noch nicht da ist, ich schreibe im Büro meinen Namen ein, damit man mir meine Briefe sofort sendet. – Ich kann dir nicht sagen, wie ich meine Zeit verbracht habe; ganz hingenommen von meiner Traurigkeit; unfähig zu Geschäften. Das geringste Vergnügen, das sich mir bietet, kommt mir schlecht zupass; weil ich es nicht mit dir teilen kann, regt es mich auf.

Es ist ein bitteres Geschenk des Himmels, ein viel zu empfindsames Herz zu haben: – Ein einziges Lächeln unseres lieben Kleinen erheiterte mich mehr als der Anblick all dieser entzückenden Gärten, eine einzige Zärtlichkeit von dir zu ihm verschafft mir eine köstlichere Illusion, als alle Schauspiele der Welt sie emporbringen können. Er zeigt mir das glückliche Bild, das mich erfreut hat und das mich noch erwartet. Ich bin jetzt nicht ruhig genug, um eine Beschreibung all der Sehenswürdigkeiten, welche diese Stadt enthält, geben zu können. Sie ist eine der schönsten und bemerkenswertesten von ganz Deutschland. Vor zwei Tagen ward sie von der Zerstörung Lissabons berührt. In der Nacht vom Sonntag zum Montag gab es hier ein sehr beträchtliches Erdbeben. Die Glocken läuteten, die Türen des Schlosses öffneten sich, und die Gewehre der Soldaten von der Leibgarde wurden von einer Ecke in die andere geworfen. Die Bewohner der Stadtmitte versammelten sich auf dem Hauptplatz, die Soldaten verließen ihre Posten aus Furcht, vernichtet zu werden. In der Neustadt, wo wir wohnen, spürte man nur leise Erschütterungen. Ich sorgte für mich nichts, aber am folgenden Morgen zitterte ich doch um mein Dasein. Leb wohl, meine zärtlichst Geliebte! Ach, dass ich dich nicht jetzt umarmen kann, dir nicht auf den Kein versichern kann, dass ich dich immer liebe.

Johann Heinrich Merck an seine Frau | Kassel, 13. April 1767