Liebenswürdige Demoiselle!

Sie wissen es schon, was ich für Sie empfinde. Das Herz hat seine Sprache und weiß sich auch ohne Worte genug zu erklären. Ich habe Ihnen das meinige sogar schon durch Worte entdckt. Allein, um mir eine endliche Entscheidung meines Schicksals von Ihnen zu erbitten, lege ich Ihnen hiermit ein feierliches Geständnis davon vor. Es ist dieses, dass ich Sie liebe, Sie hochschätze, Sie verehre; dass ich es fühle und überzeugt bin, dass ich Sie ewig lieben werde; dass ich in Ihre Genehmigung meiner aufrichtigsten zärtlichsten Gesinnungen gegen Sie mein ganzes Schicksal setze; dass ich endlich mich für den glücklichsten Menschen halten werde, wenn ich mir Hoffnungen machen kann, einst zu dem ewigen Besitze Ihres unschätzbaren Herzens zu gelangen.
Ob ich gleich hierüber längst und vom Anfange, da ich das Glück gehabt, Sie näher kennen zu lernen, mit mir eins gewesen, dennoch habe ich nicht genug gewusst, was ich mir für ein Urteil von Ihnen zu versprechen hätte, und meine zärtliche Ausforschung Ihres Herzens und Ihrer Neigung hat oft, zu meinem geheimen Kummer, einen Widerspruch mit dem zuweilen günstigen Anschein von Glück zu entdecken geglaubt.

Endlich vertraue ich diesem Brief meinen Antrag mit mehrerem Mute, als ich haben würde, wenn ich ihn mündlich tun wollte und mein Mund vielleicht dasjenige umsonst oder doch unordentlich ausdrückte, was ich empfinde, was ich wünsche, und so sehnlich wünsche.

Mein Antrag geht als dahin: Ob Sie sich mit mir in eine ernsthafte Verbindung einlassen möchten; in eine Verbindung, welche, sobald es die Umstände und die Vernunft erlaubten, ein ewiges Band unauflöslich machte, das nur dem Ausschweifenden, dem Wankelmütigen und Flatterhaften, dem, welcher die süße Harmonie zweier allein sich ergebenen Herzen nicht fühlen kann, sklavisch und lästig vorkommen wird, mir aber eine der größten unter den Glückseligkeiten des menschlichen Lebens zu sein scheint, wofern eine beiderseitige Bemühung sich vereinigt, um ein fortdauerndes gutes Vernehmen, Eintracht, Gefälligkeit, Zufriedenheit und Zärtlichkeit in ihrer Lebhaftigkeit zu erhalten, wovon wir ein schönes nachahmungswürdiges Muster in Ihren lieben und mir deswegen allezeit unendlich verehrungswürdigen Eltern vor uns sehen.

Ziehen Sie darüber zuerst Ihr Herz und Ihre Neigung zu Rate, hierdurch nur wird ein günstiges Urteil erst seinen wahren Wert bei mir erhalten; und, o möchten diese für mich reden! Alsdann werden Sie über dasjenige, was die Vernunft und die Überlegung hierbei anrät, sich mit Ihren lieben Eltern, denen ich meine Absicht schon vorläufig entdeckt habe, beratschlagen können. Um Ihnen darin nach meinen Kräften zu Hilfe zu kommen, so will ich Ihnen eine Regel vorschlagen: dass man nämlich nach meiner durch eine öftere Aufmerksamkeit auf die Begebenheiten der Menschen – wie auch durch Lesen und Hören – erhaltenen wenigen Einsicht in solchen Fällen vorzüglich auf dasjenige zu sehen hat, was fortdauert, nicht bloß im Äußerlichen besteht oder vergänglich ist. Man muss sich also in den Fall setzen, als wenn dieses alles nicht da wäre oder doch verschwinden könnte, und dann wählen. Dennoch wird man bei allen Dingen etwas wagen müssen, die man unternimmt. Es kommt alsdann nur darauf an, dass man Mut genug hat, bei dem einmal mit Überlegung gefassten Entschluss zu verharren und dass man selbst nicht unglücklich sein will, sondern seinen Zustand durch Vernunft und Klugheit zu verschönern sucht.

Ungeachtet mein brennendes Verlangen, eine Erklärung, und was noch mehr ist, eine günstige Erklärung zu erhalten, nicht bald genug erfüllt werden kann und es vielleicht mein Vorteil ist, wenn Sie weniger behutsam wären, dennoch liebe ich Sie zu sehr, wünsche allzu sehr Ihre künftige Glückseligkeit und suche in der Rechtschaffenheit zu sehr mein Glück, als dass ich Ihnen nicht anraten sollte, diese Entscheidung mit gehöriger Sorgfalt, wozu Ihrem Geiste die Natur hinlängliche Fähigkeit verliehen hat, vorzunehmen, in einer Sache, welche durch eine kurze Dauer von Zufriedenheit wenig schätzbar oft ein Elend wird und durch die Fortdauer erst den wirklichen Vorzug erhält. Sind Sie also von der Größe, der Wahrheit, der Aufrichtigkeit meiner Liebe überzeugt, so werden Sie auch in die natürliche Folge davon, Ihr Glück, Ihre Zufriedenheit und Ruhe befördern, keinen Zweifel setzen und meine zum Wankelmut und zur Flüchtigkeit nicht geneigte Denkungsart Ihnen deswegen auf die Zukunft Gewähr leisten. Sind Sie aber davon noch nicht überzeugt: Oh, so sagen Sie mir Ihre Zweifel, ich kann sie heben; geben Sie mir Proben auf, ich unterwerfe mich Ihnen. Ich schließe und warte voll Ungeduld auf Ihren Ausspruch, indem ich mich, unter Empfindung der lebhaften, Ihnen nur gewidmeten Zärtlichkeit, der Güte Ihres Herzens empfehle und in angenehmer Erwartung nenne

Liebenswürdigste Demoiselle,
dero ewig ergebenster
Kestner

 

Johann Christian Kestner an Lotte Buff