Ich hatte den Entschluss gefasst, nie mehr an Euch zu schreiben; da aber die Liebe, die ich für Euch empfunden habe und empfinde, so mächtig und so überwältigend ist, dass wenn ich tausend Eide und Schwüre geleistet hätte, Euch nicht mehr zu schreiben, ich sie niemals hätte halten können: deswegen habe ich mich entschlossen, Euch in diesem Briefe mein ganzes Inneres zu offenbaren und dann ein ende zu machen, wenn es mir von meinem unerbittlichen Geschick also beschieden ist. Wisset daher, mein teuerster Freund, dass Ihr eine ebenso schlechte Meinung von mir habt wie von jeder anderen schuldigen Frau. Ich freue mich jedoch aus vollem Herzen, dass alle schlechten Vermutungen grundfalsch sind. Nur das schmerzt und reut mich, dass das mächtige Geschick, neidisch auf meine süße Ruhe, mich zwingt, einen zu suchen, der sich vor mir verbirgt und mich flieht, mich zwingt, die flehentlichsten Bitten an einen zu verschwenden, der mich hasst, mich verachtet, mir nie antwortet und mich schließlich zwingt, in Liebe für einen zu erglühen, der kälter ist als der gefrorene Schnee mitten im Winter. O ruhmreiche Venus, warum schaffst du nicht, dass deine Waage völlig gleichsteht? Ach, warum müssen so viele schneidende Pfeile, so viele Liebesflammen, so viele feste Fallstricke mein armes, unglückliches Herz verwunden, versengen, umwinden, und nicht ein winziger Pfeil, ein wenig Glut oder ein kleiner Knoten durchbohrt, brennt und fesselt das abgehärtete Gemüt jener giftgeschwollenen, grausamen, mir allein zum Schaden taub gewordenen Natter? O unerbittlicher Cupido, der du deine Pfeile auf dem verhängnisvollen Wetzstein gegen den schärfst, der dir nicht willig folgt, der nichts von dir wissen will und dich verachtet, wie kleinmütig bist du, dass du nicht wagst, den Blick zu erheben, als hättest du nicht den Bogen in der Hand und den Köcher an der Seite! Ergreife doch deine unüberwindlichen Pfeile und schaffe, dass sie vom Bogen in die linke Seite dessen schwirren, der, ein Mensch von Fleisch und Blut, hart wie der festeste Stein geworden ist, damit er deutlich erkenne, dass keine Macht sich mit deiner vergleichen lasse. An dich wende ich mich jetzt, Grausamer, und flehe dich an, dass, wenn die Worte anderer in früheren Jahrhunderten die Kraft besessen haben, die wildesten Tiere zu bändigen, die härtesten Steine zu spalten, die steilsten Berge zugänglich zu machen und endlich den Lauf der reißendsten Ströme zu hemmen, die meinen, als die sanftesten, frömmsten, mitleiderregensten, liebreichsten und jammervollsten so viel Kraft haben mögen, die Härte deines Teuren Herzens zu brechen und deinen mürrischen Sinn in beständige ewige Liebe zu verwndeln, damit ich die unwiderleglich beweisen kann, dass alles, was man dir unwürdiges über mich hinterbracht hat, Lügen und Verleumdungen sind, verbreitet von klatschsüchtigen, verpsteten, giftigen Zungen, die in wenigen Tagen mit Schimpf und Schande werden verstummen müssen. Sollte es dir aber nicht belieben, meinen flehendlichen Bitten dein Ohr zu leihen, so habe wenigstens die Barmherzigkeit, dich vor meinen Augen zu verbergen, damit ich nicht tausend Tode sterbe, sondern nur einen. Und wenn meine Pein dadurch, dass ich dich nicht sehe oder einige Tage von dir fern bin, keine Erleichterung erfährt, so will ich meinen Gebieter Amor bitten, er möge die glühende Flamme, die mich vom Scheitel bis zum Fuß verzehrt, etwas löschen, damit ich noch einige Tage in größerer Ruhe verleben kann. Sollten aber meine Bitten nicht imstande sein, mich von meinen Qualen zu erlösen, und sollte ich deinetwegen sterben müssen, so bin ich völlig bereit zum Sterben und werde dich glühend und heiß bis zu meiner letzten Stunde lieben, so dass ich mit dem florentinischen Dichter singen kann:

Da Ehre man durch edlen Tod erwirbt,
Soll weder Tod noch Leiden
Mich je von dir und deiner Liebe Scheiden.

 

Helena Fioriana an Domitio Gavardo | 16. Jahrhundert