Ich gestehe Euch den Preis vor allen Kurtisanen zu, die es je gegeben hat, da Ihr es besser als jede andere verstanden habt, die Lüsternheit unter dem Schleier der Ehrbarkeit zu verbergen und vorsichtig und verschwiegen zu sein. Ihr zeigt Eure Verschlagenheit, diese Seele der Kurtisanenkunst, nicht durch plumpe Kunstgriffe, sondern mit solcher Geschicklichkeit, dass, wer Euch mit vollen Händen gibt, noch schwört, er sei sparsam. Es lässt sich gar nicht sagen, mit welchen Kunstgriffen Ihr Euch neue Freunde erwerbt, noch auf wie verschiedene Weise Ihr die ins Haus lockt, die zwischen Ja und Nein hin und her schwanken. Es fällt einem schwer, sich die Mühe vorzustellen, die Ihr Euch gebt, um diejenigen, die Eure Anbeter geworden sind, festzuhalten. Ihr teilt die Küsse, das Drücken der Hände, das Lachen, die Freuden des Lagers so meisterhaft aus, dass man niemand streiten, fluchen oder klagen hört. Ihr zeigt euch bei jeder Gelegenheit bescheiden, nehmt das, was man Euch gibt, ohne den der Euch nicht genügend schenkt, auszumeistern; auch seid Ihr keine Freundin von Seufzern und vom langen Hinhalten, da Ihr diejenigen, die sich auf die Praktiken der Pippa und Nanna verlegen, nicht leiden könnt. Ihr äußert keinen Verdacht, wo kein Grund vorhanden ist, noch spielt Ihr die Eifersüchtige dem gegenüber, der Euch keine Veranlassung dazu gegeben hat. Ihr seid nicht gleich mit Jammern bei der Hand, um Euch dann bald trösten zu lassen; Ihr heuchelt keine Liebe, Ihr sterbt nicht und steht dann von den Toten wieder auf, wann es Euch beliebt. Ihr ruft den Flatterhaften gegenüber nicht die Dienerin zu Hilfe, indem Ihr sie zu schwören unterweist, dass Ihr nicht esst, nicht trinkt, nicht schlaft, und Ihr nehmt jener Herrchen wegen Eure Zuflucht nicht dazu, dass Ihr die Dienerin versichern lasst, es hätte wenig gefehlt, so hättet Ihr Euch aufgeknüpft, wie einer von ihnen zu der oder jener gegangen ist. Nein, bei Gott, das tut Ihr nicht, denn Ihr gehört nicht zu jenen, die die Tränen lose sitzen haben, und während sie weinen, die sie aus der tiefsten Brust hervorholen und mit gebrochener Stimme ausstoßen, wobei sie noch Seufzer hineinmischen, die List anwenden, sich das Haar raufen und in den Finger beißen. Ihr haltet nicht mit Fleiß den zurück, der gehen will, noch schickt Ihr den fort, der Lust hat zu bleiben. Solche Spielereien sind nicht nach Eurem Sinne. Euer weiblicher Takt geht auf das Reale, und Ihr findet an Weiberpossen keinen Geschmack. Auch verkehren bei Euch keine Prahlhänse und Aufschneider, sondern nur gesetzte, ehrenhafte Männer erfreuen sich an Eurer Lieblichkeit und Schönheit, durch die Ihr vor den meisten anderen hervorstrahlt. Ihr könnt auch die feste Hoffnung hegen, dass Eure jetzige Lage, in der Ihr Euch dank Eurer Klugheit befindet, dauern ist. Die Lüge, Neid, die Schmähsucht, das Lebenselement der Kurtisanen, halten weder Euren Geist noch Eure Zunge in Bewegung. Ihr schätzt die Tugenden und haltet die Tugendhaften in Ehren – ein Zug, der bei denen, die gegen Bezahlung anderen zu Willen sind, ganz außergewöhnlich ist. Daher habe ich mich Euch ergeben, da es mir scheint, als seid Ihr dessen würdig…

Pietro Aretino an Signora Angela Zaffetta | Venedig, 15. Dezember 1537