Ihr Schweigen macht mich krank. Ich mache Ihnen durchaus keinen Vorwurf, aber ich leide, und es kostet mir Mühe, mir einzureden, dass ich bei einem auf beiden Seiten gleichen Interesse vier Wochen lang ohne einen Brief von Ihnen sein könne. Was ist Ihnen denn die Freundschaft wert, wenn sie sich so leicht von ihr losmachen? Mein Gott, wie glücklich sind Sie! Ein Kaiser, ein König, eine Truppenschau, ein Feldlager – und Sie vergessen, dass ich Sie liebe! Dass Sie obendrein der einzige Stecken und Stab einer sehnsüchtigen Freundin sind!

Doch nein, ich will Ihnen nicht unrecht tun. Ich wünschte ja selber, Ihre Vergesslichkeit wäre keine. Ich wünschte, ich wäre so geschaffen, dass ich alles hinzunehmen vermöchte, dass ich alles erleiden könnte, ohne zu klagen.

Dies ist der fünfte Brief ohne Antwort! Sagen Sie mir, wie viele Leute gibt es, denen Sie in gleicher Weise den Vorzug geben! Ich weiß nicht, warum, ich hatte mir fest eingebildet, dass ich von Breslau aus einen Brief bekommen würde, Sie möchten nun die meinigen erhalten haben oder nicht. Aber meine Hoffnung ist getäuscht worden. Ach, wie hasse ich Sie, mich zu gleicher Zeit Hoffnung, Bangigkeit, Furcht und Freude kosten zu lassen. Ich brauchte diese Herzensstürme nicht. Warum lassen Sie mich nicht in Ruhe?
Meine Seele bedurfte der Liebe nicht. Sie war angefüllt mich einem zärtlichen, tiefen Gefühl, das Widerhall und Antwort fand. Es war schmerzensreich – und gerade dieses Element brachte mich Ihnen näher. Sie sollten mir nur gefallen – aber Sie haben mich gerührt. Indem Sie mich trösteten, ketteten Sie mich an sich, und was das wunderlichste dabei ist, die Gunst, die Sie mir erzeigten, die ich hinnahm, ohne meine Zustimmung kundzutun – diese Gunst, weit entfernt, mich nachgiebig und willfährig zu machen, wie Leute es werden, denen man eine Wohltat erzeigt, gerade diese Gunst hat mich im Gegenteil so anmaßend gemacht, an Ihre Freundschaft Erwartungen und vielleicht gar Forderungen zu stellen. Sie, der Sie von oben herab und tief in die Dinge hineinsehen Sie müssen mir erklären, ob das Äußerungen eines undankbaren oder eines vielleicht nur allzu feinfühligen Gemütes sind. Was Sie mir sagen, werde ich glauben.

Wenn ich wollte, oder vielmehr, wenn ich nicht so friedlos und so unzufrieden ob Ihres Schweigens wäre, so würde ich Ihnen Fehde ansagen. Das würden Sie gern hören, darauf würden Sie mit Vergnügen eingehen aber Ihre Verteidigung wäre zweifellos ein neuer Frevel. Indessen, Sie sind in weiter Ferne, Sie haben keine Zeit und sind viel beschäftigt, und schlimmer noch; wie berauscht. Dieses Wort gewährt mir Genugtuung, aber keine Zufriedenheit. Kehren Sie doch zurück! Ich sehe dem Rinnen der Zeit mit einer Wollust zu, die ich nicht zu schildern vermag. Man pflegt zu sagen; die Vergangenheit sein nichts. Mich, mich hat sie ganz im Bann. Gerade weil ich so viel gelitten habe, graut mir davor, noch mehr zu leiden. Und doch bin ich dabei so toll, von Ihrer Freundschaft Wonne und Trost zu erhoffen.
Ich verzeihe Ihnen alles. Kommen Sie nur.

Julie de Lespinasse an Jacques Antoinne de Guibert